Scheitert unsere Zivilisation ausgerechnet am Menschen?

„Techno-Optimismus“ - die trügerische Sicherheit

 

Ersparen wir uns einfach mal die ganze Liste an Geschehnissen, die selbst den hartnäckigsten Wegschauern deutlich machen dürfte, dass diese Welt sich gerade in unheimlicher Geschwindigkeit verändert – und das zu unseren Ungunsten als Spezies. Wir drohen mittelfristig von diesem Planeten zu verschwinden – und das nicht als instellare Reisegesellschaft auf dem Weg zu neuen Ufern oder als hochgeladene Algorithmen in einer Serverlandschaft, um mal auf die Träume des Silicon Valley zurückzugreifen, die so völlig hilfreich sind angesichts unserer Probleme. Sondern durch einen krassen Zusammenbruch des Systems, dessen Teil wir sind. 

 

Das wirklich Erstaunliche ist, wie wenig Weckrufe wir hören und wie wenig Veränderungsbereitschaft sich im Querschnitt der Bevölkerung zeigt. Ist der Lebensstil bedroht, werden wir zur Not auch blind für Fakten, notwendiges Umdenken und alternatives Handeln. Alles, nur das nicht! (Auf die Zeitgenossen, deren Psyche kollabiert und die sich in Wahnwitz-Geschichten flüchten, wollen wir an dieser Stelle nicht eingehen!) Einer der Gründe für diese Blindheit liegt wohl in unserer tief verwurzelten Technologiegläubigkeit – wir glauben, dass Wissenschaft und Technologie schon die wesentlichen Probleme lösen werden, ohne dass es dazu eines grundsätzlichen Umdenkens hinsichtlich unserer wachstumsbasierten Volkswirtschaften und unseres Lebensstils bedarf. Wir unterschlagen dabei, dass es gerade diese technischen Lösungen sind, die zu unserem Scheitern beitragen – und nun sehnen wir uns nach Technologien, die die Probleme dieser Technologien lösen. Das ist wie das Suchen an derselben Stelle, an der man das letzte Mal auch nichts gefunden hat – nicht besonders erfolgversprechend. Der Nachhaltigkeitsforscher Rupert Read hat diesen Irrglauben schön auf den Punkt gebracht: „Sind wir Menschen mit nicht unüberwindlichen Grenzen konfrontiert? Ist „grünes“ Wachstum mehr als eine Fantasie? Nein, es gibt nicht nur Grenzen, sondern wir haben sie bereits verletzt; deshalb ist diese Zivilisation am Ende, sie ist über die Klippe gerannt und strampelt mit den Beinen in der Luft wie eine dieser alten Cartoon-Figuren, mit denen wir aufgewachsen sind." 


„Wir können den Kuchen nicht größer machen, wenn die Zutaten alle sind und die Küche sich mit Rauch füllt.“ (Rupert Read)


Welche Wahl haben wir realistischerweise noch? 

 

In ihrem empfehlenswerten Buch „Diese Zivilisation ist gescheitert“ skizzieren der Philosoph Rupert Read und der oben zitierte Nachhaltigkeitsforscher Samuel Alexander das, was auf uns zukommen könnte in drei denkbaren Zukunftsszenarios: Unsere Zivilisation bricht "gänzlich und endgültig" zusammen, die Menschengattung verschwindet von der Erde. Oder es gelingt uns, den "Keim" für eine "Nachfolge-Zivilisation" zu legen, die aus der Asche der kollabierenden alten erstehen könnte. Oder aber – dritte Variante – der Zusammenbruch wird vermieden, weil unsere Zivilisation das Ruder doch noch "radikal und rasch" herumreißt

 

Die alte Umweltbewegung, so Read, sei auf das dritte Szenario fixiert gewesen, auf das – nunmehr – unwahrscheinlichste. Ereignete sich das Wunder sofortiger Umkehr dennoch, wäre die Transformation so grundstürzend, dass auch dann die Zivilisation, wie wir sie bisher kannten, wenn nicht zur Gänze scheiterte, so doch an ihr Ende gelangte. Read mutmaßt, das erste Szenario – der Untergang – könne "bald so wahrscheinlich" sein wie das zweite, das Phoenix-Szenario. Als mögliche Katastrophenbeschleuniger nennt er unter anderem Pandemien ... 

 

Die düsteren Szenarien werden also zunehmend wahrscheinlicher, je länger wir zögern, etwas zu verändern. Es ist so gut wie sicher, dass sich das globale kapitalistische System aufgrund seiner von ihm selbst hervorgebrachten ökologischen Widersprüche zerstört. Endloses Wachstum auf begrenzten Ressourcen ist unmöglich. Ganz sicher ist das Unbehagen, dass wir alle hintergründig spüren, getragen durch dieses Wissen. Aber anstatt angesichts dieser Ungeheuerlichkeit in Schreckensstarre zu fallen und routiniert alles weiter so zu tun wie bisher, müssen wir – und damit ist jeder Einzelne gemeint - Initiative ergreifen und unsere Lebensstile verändern. Denn Stand jetzt wird es keine hinreichende Veränderung aus der Politik und Ökonomie geben, bis eine Kultur sie einfordert. Wir gewöhnlichen Leute müssen einen nachhaltigen Lebensstil vormachen, soweit das möglich ist, der zum Umdenken zwingt. Wenn der Staat nicht der Vorantreiber ist, dann muss es eine soziale Bewegung sein! 


„Keine demokratische Regierung eilt dem gesellschaftlichen Wandel voraus, sondern immer nur hinterher,

um kein Risiko einzugehen.“ (Nico Paech, Ökonom)  


Die Krise als Chance begreifen! 

 

 

Ausgerechnet der neoliberale Erzkapitalist Milton Friedman hat es auf den Punkt gebracht: „Nur eine Krise – ob eine tatsächliche oder vermeintliche – bringt wirkliche Veränderung hervor. Wenn ein solcher Krisenfall eintritt, hängen die unternommenen Schritte von den Ideen ab, die sozusagen rumliegen. Darin besteht unsere zentrale Funktion: Alternativen zur bestehenden Politik abrufbar zu halten, bis das politisch Unmögliche zum politisch Unvermeidbaren wird.“ Und ganz sicher werden wir Alternativen brauchen, denn die klimabedingten Katastrophen werden Jahr für Jahr zunehmen. Vielleicht hilft es, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass es aller Erfahrung nach falsch ist, dass Katastrophen immer Grausamkeit und Gleichgültigkeit erzeugen – im Gegenteil ist es eher so, dass sie Großzügigkeit und Gemeinschaft ans Licht bringen. Da liegen die dystopischen Blockbuster schlichtweg falsch. Wir werden allerdings die Lektion lernen müssen, dass es besser ist, in und mit dem natürlichen System in Harmonie zu leben – dazu müssen wir uns aber selbst verändern, um den Kollaps zu vermeiden. Die große Frage ist, ob wir das früher auf geplantem, teils freiwilligen Weg tun werden oder später in katastrophal-verzweifelter, erzwungener Weise. 

 

Vielleicht zum Schluss noch ein Zitat des Philosophen Rupert Read: „Wo größte Gefahr droht, kann auch Kraft zur Rettung gefunden werden. Wenn wir schließlich in den Abgrund zu blicken wagen, wenn wir den Mut finden, über diese Fragen nachzudenken, wenn wir die Schönheit dessen, was wir haben, bemessen und den Aberwitz, es zu verspielen, wenn wir den Schmerz darüber empfinden, was wir unseren Kindern hinterlassen, dann können wir uns gegen die Herausforderung aufbäumen und uns ihr stellen. Es geht um die größte Herausforderung in der gesamten Geschichte unserer Spezies. Was für eine überwältigende, ergreifende Verantwortung – und sie ist furchteinflößend.“  

 

Wir sind alle aufgerufen, endlich richtig hinzuschauen und etwas zu tun. Vielleicht auch gegen den spontanen Schutzimpuls, die Gefahr aus Angst vor einer unaushaltbaren Situation, die sehr komplex ist, einfach zu ignorieren. Das ist zwar überaus menschlich, aber damit werden wir kollektiv scheitern. Es muss anders gehen: Werden wir doch angesichts der Gefahr einfach zu uns selbst. 

 

Dann kriegen wir das auch „irgendwie“ hin! 

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Mythos Moderne - zu viel war nicht genug

Wir glauben immer noch an ein Wirtschaftssystem, das auf ständigem Wachstum und Konsum basiert. Und zwar für alle der beinahe 10 Milliarden Menschen auf diesem einen begrenzten Planeten, der das weder hergibt noch die Kraft der Kompensation für all die Schäden hat, die wir dabei anrichten. Der Motor dabei: Geld, das wachsen will, koste es was es wolle.


 Unbedingt lesenswert! 

 

 

"Unsere industriell-wachstumsbasierte Zivilisation wird die Pariser Klimaziele nicht erreichen. Das bedeutet, dass wir es wahrscheinlich mit einer Erderwärmung um mindestens drei bis vier Grad Celsius zu tun bekommen - und das ist nicht mit der Zivilisation vereinbar, die wir kennen."

(Rupert Read) 

 

 

Rupert Read/Samuel Alexander

"Diese Zivilisation ist gescheitert. Gespräche über die Klimakrise und die Chance eines Neuanfangs"

Felix Meiner Verlag 2020 / Taschenbuch, 134 Seiten / 14,90 €