Vom „Markt“ direkt ins Grab
Das wirklich Dumme an einem Mythos ist, dass man ihn erst aus der Zukunft heraus präzise erkennen kann. Im Geist seiner Zeit, wenn er aktiv ist, ist er schwer erkennbar, denn da ist der Mythos Realität. Und er ist in der Lage, unglaubliche Kräfte freizusetzen – noch heute verblüfft uns, wie die gigantischen Bauwerke der Antike wie etwa die Pyramiden, entstanden sind. Eine gigantische, mehr als erstaunliche Leistung mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln. Beamen wir uns also einfach mal in eine vielleicht stattfindende ferne Zukunft und werfen als Historiker einen Blick auf unsere heutige Zeit!
Erstaunend stellen wir fest, dass unsere Vorfahren an ein Wirtschaftssystem geglaubt haben, das auf ständigem Wachstum und Konsum basierte. Und zwar für alle der beinahe 10 Milliarden Menschen auf diesem einen begrenzten Planeten, der das weder hergab noch die Kraft der Kompensation für all die Schäden hatte, die sie dabei anrichteten. Ihre Wissenschaftler berechneten dabei relativ präzise das Ausmaß der Zerstörungen und die verbleibende Zeit bis zum unvermeidbaren Desaster. Unvermeidbar in dem Sinn, dass niemand das herrschende Wirtschaftssystem der damaligen Zeit veränderte, was kein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre – aber die Beharrungskräfte waren zu mächtig. Man glaubte, ein so ominöses Ding wie der damalige „Markt“ würde die Dinge regeln, was er nicht tat. Und so kam es, wie es kommen musste … warum?
Der Markt: Die unsichtbare Hand
Aber wann wird etwas zum Mythos? Das Wort selbst kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Laut, Wort, Erzählung“. Es ist nach Jean Gebser eine „lauschende Qualität“, die beim Mythos mitschwingt. Ein Mythos, wenn er einer ist, setzt nicht nur das Trommelfell, sondern auch die Seele in Schwingung – er ist eine Geschichte, die Kraft und Macht hat. Der Mythos unserer Zeit ist der eines Wirtschaftssystems des grenzenlosen Wachstums und seiner Alternativlosigkeit. Seine Prämissen: Die unbeseelte Natur ist ein Rohstoff, der ausschließlich als Produktionsmittel dient. Man kann damit machen, was man will.
Der aufkommende Neoliberalismus gab der ganzen Geschichte seit Ender der 70er nicht nur eine neue Dynamik, sondern auch gleich noch zusätzliche Prämissen, die fast schon als „magisch“ zu bezeichnen sind: Zum einen gäbe es es da eine unsichtbare Hand des Marktes, die auf wunderbare Weise regulierend eingreift zum Wohle aller, und dank neuer Instrumente des Kapitalmarktes ließe sich Geld aus dem Nichts schaffen, was bereits an alchemistische Prinzipien erinnert. Unterm Strich ist es eine absurde Erzählung, in der nichts Logisches übrig bleibt – und doch steckt sie tief in uns allen drin und quillt aus jeder menschlichen Pore dieser Welt. Mit der natürlichen Entwicklung von Werden und Vergehen auf unserer Welt, von Geburt, Wachstum, Tod und Vergehen hat das alles nichts mehr zu tun. Stattdessen favorisieren wir ein unnatürliches Modell des „Immer mehr“, ein ewiges Werden, das ein Vergehen nicht mehr berücksichtigt, alles beruht auf Quantität und nicht auf Qualität.
„Was unser Klima braucht, um nicht zu kollabieren, ist ein Rückgang des Ressourcenverbrauchs durch den Menschen; was unser Wirtschaftsmodell fordert, um nicht zu kollabieren, ist ungehinderte Expansion. Nur eines dieser Regelsysteme lässt sich verändern, und das sind nicht die Naturgesetze.“ (Naomi Klein)
Dieser tiefsitzende Mythos entwickelte sich über Hunderte von Jahre. Deswegen sitzt er so tief in uns, so machtvoll, subtil und übergreifend. Nur so lässt sich erklären, warum wir angesichts eines brennenden Hauses „business as usual“ betreiben. Nur so lässt sich unsere Ohnmacht erklären, sehenden Auges nichts zu verändern, hilflos am zunehmenden Fiasko teilzunehmen und uns zu wünschen, der Staat möge uns zu anderem Handeln verpflichten. Wird er nicht. Denn er ist genau auf dieses ewige Wachstum gebaut, ohne das er nicht funktioniert. Und: Das allmächtige Geld sitzt ihm im Nacken.
Mehr Geld machen! Für immer weniger Menschen
Das Geld dieser Welt konzentriert sich indes bei immer weniger Menschen. Die acht reichsten Männer der Welt haben zusammen ein Vermögen, das in etwa so groß ist wie das der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung. Und laut einer Studie der Boston Consulting Group verwalten die großen Finanzkonzerne mittlerweile ein Vermögen von sagenhaften 74 Billionen US Dollar – zwanzig mal mehr als das der glor/reichen acht. Diese Vermögensverwalter, Fonds und Banken haben die mit dem Geld verbundene Macht inne – einmalig in der Weltgeschichte! Sie dominieren weltweit die Aktiengesellschaften und bestimmen die Geschicke dieses Planeten. Moderne Finanzturbokapitalisten, die sich nur noch für kurzfristige Renditen interessieren, denn „Shareholder-Value" ist der King. Sie halten Aktien oder Anleihen im Wert von rund 1100 Milliarden Dollar an Unternehmen wie BP oder ExxonMobil, sie finanzieren die Ölsuche in der Arktis und die neuen Kohlekraftwerke in Bangladesch, aber gerne auch Panzer, Raketen, Drohnen und Bomber (Link). Ihr einziges Ziel: Mehr Geld aus Geld zu machen, koste es was es wolle. Wachstum um jeden Preis!
Geld ist? Nichts!
Die Allmacht des Geldes ist sicher die dümmste Ausgeburt des gegenwärtigen Mythos. Und wenn wir nicht aufpassen und gegensteuern, wird uns dieser „Kult“ umbringen. Das altgermanische Wort für Geld bedeutet eigentlich „Opfer“. Der obolós, der eigentlich unser Obulus ist, war ein kleiner Bratspieß, der bei Opferritualen im Tempel verteilt wurde. Das Symbol dafür, die zwei Striche als Bild für die zwei Stierhörner des ursprünglichen Opfers, finden wir noch heute bei vielen Währungen – schauen Sie mal auf einen Euro oder eindeutiger noch auf die zwei vertikalen Striche beim Dollar-Zeichen. (Eine Kulturgeschichte des Geldes gibt es als pdf hier!)
Geld ist heute nicht mehr ist als das, was man so draufdruckt, es ist schlichtweg eine reine Glaubensfrage. Ohne Materialbindung ist es NICHTS außer das, was wir ihm zuschreiben. Deshalb muss es in dieser Welt zwei Kategorien von Menschen geben, die in den Dienst des Geldes genommen werden, um es zu beglaubigen: Entweder bin ich Agent des Geldes – oder ich bin dessen Beglaubiger und muss „dran glauben“.
Da ist er wieder, der Opferkult, dem wir bald die ganze Erde opfern, wenn wir jetzt nicht gegensteuern! Allerhöchste Zeit für ein neues Bewusstsein - oder kürzer: Einen epochalen BrainChange!